Websites müssen barrierefrei werden? Meine auch? Echt jetzt?

Sicher haben Sie es schon in dem einen oder anderen Artikel gelesen: eine EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit wird umgesetzt. In Deutschland geschieht dies über das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, in Österreich über das Barrierefreiheitsgesetz. In diesem Artikel möchten wir erläutern, ob dieses neue Gesetz auch für Ihre Website bzw. App anzuwenden ist und was man im Fall von Websites und eCommerce-Anwendungen überhaupt unter Barrierefreiheit versteht.

Ist auch Ihr Unternehmen vom Barrierefreiheitsgesetz betroffen?

Kommen wir als Erstes zu den Ausnahmen. Kleinstunternehmen (=Unternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von weniger als 2 Millionen Euro) sind von den Verpflichtungen ausgenommen. Ebenso ausgenommen sind Dienstleistungen, die sich nicht an Verbraucher richten, also alles aus dem Bereich der B2B-Services.

Kleinstunternehmen (=Unternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von weniger als 2 Millionen Euro) sind von den Verpflichtungen ausgenommen.

Wenn Sie diesen Blog-Artikel jetzt also noch weiterlesen, bedeutet das wahrscheinlich, dass die oben genannten Ausnahmen für Ihr Unternehmen nicht anwendbar sind. Wie geht es also weiter? Welche Websites oder Dienstleistungen unterliegen demnach dem Barrierefreiheitsgesetz?

Als Umsetzung einer EU-Richtlinie verwundert es nicht?, wenn mit der Richtlinie eine ganze Menge von unterschiedlichen Angeboten geregelt werden soll. Insgesamt hat die Richtlinie das Ziel, Menschen mit Behinderungen eine selbstbestimmte Lebensführung zu erleichtern. Sie sollen also möglichst ohne Hilfe von Dritten am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Daher behandelt die Richtlinie auch Anforderungen für Geräte wie Smartphone, eBook-Reader, Geldautomaten oder andere Selbstbedienungsterminals. Im vorliegenden Blog-Artikel möchte ich jedoch vor allem auf die Anforderung von Websites und Apps eingehen. Hersteller von Smartphones und Geldautomaten verfügen (hoffentlich) über eine Rechts- und Complianceabteilung und sind daher auf die Informationen aus Artikel wie diesem nicht unbedingt angewiesen.

Wenn man sich die Bereiche abseits von physischen Geräten und Terminals ansieht, für die die Richtlinie gelten soll, fällt der Begriff „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“ auf. Alle anderen in Geltungsbereich enthaltenen Dienstleistungen betreffen recht genau angegebene Branchen wie „audiovisuelle Mediendienste“ (z.B. Video-Streaming-Plattformen), „Personenverkehrsdienste“ oder „Bankdienstleistungen“. Was sollen also „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“ sein? Naheliegend ist natürlich, dass darunter alle Online-Shops fallen. Der Begriff muss jedoch noch weitergedacht werden und umfasst so auch alle Prozesse, die vorbereitend für einen Geschäftsabschluss durchgeführt werden, z.B. Katalogbestellungen, Online-Tischreservierungen für Restaurants oder Terminvereinbarungen für das Personal Training im Fitnessstudio über eine App oder eine Website.

Und was heißt Barrierefreiheit eigentlich?

Die verschiedenen Anforderungen für Barrierefreiheit sind im österreichischen Gesetz in einer Reihe von Anlagen angegeben. Etwas besser verständlich werden die dort aufgelisteten Anforderungen, wenn man sich wieder den Zweck des Gesetzes in Erinnerung ruft: Menschen mit Behinderung sollen die Website/App – falls möglich – ohne Hilfe nutzen können.

Wenn man sich nun überlegt, wie „normale“ Websites erlebt und bedient werden, hat man meistens die folgenden Elemente:

  • Text (erfordert: Sehfähigkeit)
  • Bilder (erfordert: Sehfähigkeit)
  • Videos (erfordert: Seh- und Hörfähigkeit)
  • Audio-Inhalte (erfordert: Hörfähigkeit)
  • Buttons/Menüs/Drop-Downs/etc., die angeklickt oder angetippt werden wollen (erfordert: präzise und koordinierte Bewegung bzw. Hand/Auge-Koordination)

Wenn eine Website oder App barrierefrei gemacht werden soll, bedeutet das, dass sie auch dann bedienbar sein soll, wenn eine der benötigten Fähigkeiten nicht, oder nur sehr vermindert, vorhanden ist.

Für blinde oder stark sehbehinderte Menschen gibt es schon längere Zeit „Screen-Reader“, die den auf der Website angezeigten Text mit einer künstlichen Stimme (heute sagt man natürlich KI dazu!) vorliest . Aber diese Screenreader haben große Probleme, wenn sich Designer mit wilden Layouts oder mit als Bitmap-Grafik angezeigten Textblöcken verwirklichen möchten. Es ist also wichtig, dass die dargestellten Texte in einer logischen Reihenfolge angezeigt werden und inhaltlich zusammenhängend sind.

Es muss aber nicht gleich eine völlige Blindheit sein, um Nutzern große Schwierigkeiten zu bereiten. Für manche Menschen sind die verwendeten Schriften schlicht zu klein, um sie lesen zu können. Man kann die Darstellung im Browser normalerweise vergrößern. Umso schöner ist es dann natürlich, wenn das Layout der Seite dadurch nicht komplett zerschossen wird, sondern sich die Website an die gewünschte Darstellungsgröße anpasst. Viele Web-Frameworks unterstützen das schon dadurch, dass sie sich auch automatisch an die Darstellung für Smartphones oder Tablets anpassen können.

Selbst wenn das Schriftgrößen-Problem gelöst ist, lauert schnell die nächste Schwierigkeit: die Farbwahl. Ja, dunkelgrau auf dunkelblau sieht vielleicht sehr elegant aus, aber für manche Menschen sind so niedrige Kontraste schlicht nicht unterscheidbar. Ideal wäre es also, wenn man das verwendete CSS durch eine Version mit höheren Kontrasten austauschen könnte.

Schlussendlich gibt es noch eine weitere Einschränkung für kreative Designer: Bitte. Verwendet. Keine. Stroboskopeffekte! Die meisten Nutzer sind davon nur genervt, andere haben dadurch jedoch ernste neurologische Probleme. Einer breiteren Bevölkerung sind die potentiellen Auswirkungen aus einem ohne Zweifel authentischen Reisebericht aus Japan bekannt.

Aus diesen Empfehlungen für eine barrierefreie Darstellung von Text können Sie wahrscheinlich auch schon die Strategien für eine Umsetzung von anderen Inhalten ableiten: ein (fehlender) sensorischer Kanal soll durch einen anderen sensorischen Kanal ersetzt bzw. zumindest kompensiert werden.

Ein Screenreader kann zwar Text vorlesen, er scheitert jedoch an Bildern und Grafiken. Daher sollen diese immer mit aussagekräftigen ALT-Tags ausgestattet sein, damit der Screenreader auch die Bildbeschreibung aus dem ALT-Tag vorlesen kann.

Videos benötigen normalerweise sowohl Seh- als auch Hörfähigkeiten. Um Videos auch auf barrierefreien Websites nutzen zu können, sollten sie daher über Untertitel verfügen, damit sie auch von Menschen ohne Hörvermögen angesehen werden können. Für Nutzer ohne Sehvermögen sollten die Videoinhalte auch in Textform verfügbar sein.

Warum sollte man auch noch hinsichtlich der Bedienelemente einer Website etwas Hirnschmalz investieren? Nicht jeder Nutzer kann seine Finger so präzise bewegen wie ein Gehirnchirurg und trifft sogar das 2×2 Pixel große „Schließen“-Icon einer Google-Werbung beim ersten Versuch. Manche Nutzer haben vielleicht gar keine Finger (mehr) oder können ihre Bewegungen aufgrund von Krankheiten wie z.B. Parkinson nicht ausreichend kontrollieren. Sie müssen sich mit vergrößerten Tastaturen behelfen und damit von einem zum nächsten Element springen. Umso wichtiger ist es dann, dass sich alle Elemente zur Bedienung der Website tatsächlich über die Tastatur erreichen lassen und die Reihenfolge auch logisch und nachvollziehbar ist.

Gibt’s dazu auch internationale Standards?

Gut, dass Sie fragen! Richtlinien zur barrierefreien Gestaltung gibt es schon seit einiger Zeit in Form der Europäischen Norm EN 301549. Diese Norm verweist wiederum auf die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) des World Wide Web Consortium (W3C), quasi der Standardisierungsorganisation des Webs. Weit verbreitet ist die Version WCAG 2.1. Diese wurde im Dezember 2024 durch WCAG 2.2 ersetzt, allerdings sind die Unterschiede zwischen Version 2.1 und 2.2 recht überschaubar.

Viele Web-Frameworks, CMS, Shop-Systeme oder Themes geben an, dass sie WCAG 2.1 kompatibel sind bzw. so konfiguriert werden können, dass die fertige Anwendung dann die Anforderungen der WCAG (Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit, Robustheit) erfüllt.

OK, und ab wann muss das fertig sein?

Alle neuen Systeme im Geltungsbereich der Richtline, also auch die oben genannten „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“, die ab 28.06.2025 eingeführt werden, müssen barrierefrei implementiert sein. Unternehmen wie Werbeagenturen oder Software-Hersteller, die für Ihre Kunden entsprechende Systeme und Websites erstellen, müssen also ihr Angebot jedenfalls so anpassen, dass ab dem Stichtag nur mehr barrierefreie Versionen ihrer Produkte neu verkauft werden. Für bestehende Systeme gibt es eine fünfjährige Übergangsfrist, allerdings muss die Barrierefreiheit schon früher hergestellt werden, wenn es „wesentliche Änderungen“ an den Systemen gibt. Als „wesentliche Änderung“ wurde von Gerichten in ähnlichen Fällen beispielsweise das Hinzufügen einer neuen Zahlungsmethode oder eine neue Produktkategorie im Online-Shop gesehen. Insofern ist es empfehlenswert, mit der Umsetzung des Themas nicht bis zum Ablauf der Übergangsfrist zu warten. Darüber hinaus wird auch manchmal die Rechtsmeinung vertreten, dass die Übergangsfrist für Websites ohnehin nicht anwendbar ist, da es sich nicht um „Produkte“ im Sinne der Richtlinie handelt. Wenn sich die Systeme durch die Umsetzung der Barrierefreiheit grundlegend verändern müssten oder die Änderung eine unverhältnismäßige Belastung für das Unternehmen darstellen würde, kann das zu Ausnahmen bei der Umsetzung führen. Solche Ausnahmen müssen jedoch nach einem Kriterienkatalog gut argumentiert und dokumentiert werden, denn eine Nichtkonformität muss den zuständigen Behörden gemeldet werden.

Alle neuen Systeme im Geltungsbereich der Richtline, also auch die oben genannten „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“, die ab 28.06.2025 eingeführt werden, müssen barrierefrei implementiert sein. Für bestehende Systeme gibt es eine fünfjährige Übergangsfrist.

Und wenn Websites, Systeme, etc. nicht angepasst werden?

Verstöße gegen die Bestimmungen der Barrierefreiheitsgesetze sind Verwaltungsübertretungen, die mit bis zu 80.000 Euro Strafe geahndet werden können. Es ist aber anzunehmen, dass diese Strafhöhe nur bei massiven und wiederholten Verstößen ausgesprochen werden. Da das Gesetz noch nicht in Kraft getreten ist, gibt es noch keine Behördenverfahren oder gar richterliche Entscheidungen. Daher ist es schwer vorherzusagen, auf welche der Bestimmungen die Behörden besonderes Augenmerk legen werden. Das ist eine Parallele zur Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), bei der es auch einige Zeit nach der Gültigkeit des Gesetzes gedauert hat, bis rechtskräftige Bußgeldbescheide gezeigt haben, welche Ansichten die Behörden zu verschiedenen Themen haben. Ob es bei einer Nicht-Umsetzung von Barrierefreiheitsanforderungen auch zu Klagen von Mitbewerbern wegen unlauterem Wettbewerb oder von betroffenen Personen auf Schadenersatz geben wird, wird man ebenfalls erst in der Zukunft sehen.

Informationspflichten im Barrierefreiheitsgesetz

Die Ähnlichkeit zur DSGVO geht noch weiter. Über die Umsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen soll leicht verständlich, transparent und strukturiert informiert werden. Das gilt auch für den Fall, dass aufgrund von Ausnahmeregelungen, Übergangsregelungen oder Ähnlichem die Website nicht barrierefrei gestaltet ist. Am einfachsten wird man das wohl mit einem Link im Fußbereich der Website erledigen, also zusätzlich zu den sonst hier normalerweise enthaltenen Links zu Impressum, Datenschutzinformation, Geschäftsbedingungen, etc.

Im Gesetz selbst wird als mögliche Stelle für die Informationspflichten das Dokument für die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) genannt. Dieser Weg sollte jedoch nicht gewählt werden, da bei Änderungen an den AGB alle Kunden mit Bestandsverträgen informiert werden müssen. Daher ist es besser, die Informationen über die Barrierefreiheit in einem eigenen Dokument bzw. Webseite zu veröffentlichen.

Kontrolle von außen

Für die Überprüfung einer Website auf datenschutzkonforme Einwilligungen bzw. rechtmäßige Verarbeitung von personenbezogenen Daten benötigt man zwar Erfahrung, aber keine besonderen umfangreichen technischen Kenntnisse. Da Websites und Online-Shops zweckmäßigerweise öffentlich sind, können solche Überprüfungen grundsätzlich von jeder externen Person durchgeführt werden. Daher ist das Risiko, unrechtmäßige Websites zu finden ungleich höher als bei einem internen Prozess, bei dem vielleicht nicht alles mustergültig umgesetzt wurde. Bei der Umsetzung für Barrierefreiheit verhält es sich genauso. Wenn Sie das Risiko für eine unvollständige Barrierefreiheit minimieren möchten, kontaktieren Sie uns bitte für eine unabhängige Analyse.

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